Heilsamer Blick

 

 

Seit einigen Monaten finden im Strohhaus/SaarbrückenEinführungsseminare in die „Kunst des Heilsamen Blickes“ statt, welche hier nunanfänglich vorgestellt werden soll. Ein erster Einblick in diese neuentwickelte Methode gelingt am besten  aneinem einfachen Beispiel, das vielen bekannt sein wird, das aber üblicher Weiselediglich für Optimismus oder Pessimismus herangezogen wird.

 

Das Glas Orangensaft

 

Auf dem Tisch steht ein 0,2 l-Glas, welches zur Hälfte, alsomit 0,1l Orangensaft gefüllt ist.

Welche Aussage ergibt sich aus dem „Blicken“ des Betrachters?Der eine sagt: „Das Glas ist halb voll“, ein anderer: „Das Glas ist halb leer.“  - Ohne darauf einzugehen, ob der Mensch gerneOrangensaft trinkt oder nicht, wird mit der einen Aussage dasjenigebeschrieben, was da ist, bei der anderen dasjenige, was fehlt.

Mit jeder seiner Aussagen gibt der Mensch – meist völligunbewusst - eine mehr oder weniger einseitige Haltung (Blick-Richtung) preis,die immer fester werden kann, was dann wiederum zu Konflikten undAuseinandersetzungen führt.

In zwischenmenschlichen Beziehungen geschieht es leicht,dass eine Aussage, ein Urteil oder Bild über den anderen im Laufe der Zeit zueiner „absoluten Wahrheit“ gerinnt und verhärtet.

Ein erster Schritt von Bewusstwerdung des Blickens ist es,zunächst bei sich selbst wahrzunehmen, welche Haltung/Blick-Richtung man inseinem Denken hat, z. B. bezüglich des oben angeführten Orangensaft-Glases., umwieder in Bewegung zu kommen.

 

Die 12  Weltanschauungen

 

In dem Zyklus „Der menschliche und der kosmische Gedanke“(GA 151) beschreibt Rudolf Steiner 12 Weltanschauungen, die dem „HeilsamenBlick“ als Grundlage dienen.

In der Kunst des „Heilsamen Blickes“ werden verschiedeneBlick-Richtungen geschult, die aus diesen 12 Weltanschauungen oderWahrheitsperspektiven entwickelt werden.

Diese Weltanschauungen oder Wahrheitsperspektiven an dieserStelle umfänglich zu erläutern, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Essoll jedoch anhand zweier dieser Wahrheitsperspektiven gezeigt werden, wie dieSchulung des Blickes begonnen wird.

Als Beispiel sollen Materialismus und Spiritualismusherangezogen werden. Die große Frage der Denker aus diesen polaren Richtungenlautet: „Besteht die Welt aus Stoff oder Geist?“

Die Antwort des Materialisten auf diese Frage lautet: „Allesist Stoff, Materie!“

Verbindet man sich mit dieser Haltung in Bezug auf einenMenschen, so entstehen z.B. die folgenden Fragen: „Was ist die physischeErscheinung dieses Menschen? Was ist von dem Erbstrom bestimmt und wie lebt derMensch darinnen? Was ist seine Gesundheitsgeschichte?“

Die Antwort des Spiritualisten auf die Frage Geist oderMaterie lautet: „Alles ist Geist!“

Durch Einleben in diese Haltung und aus derselben auf den Menschenblickend, entstehen etwa Fragen wie diese: „Welche Aufgabe und welches Karmabringt dieser Mensch mit? Wie ist seine Verbindung zur geistigen Welt?“

Bereits aus diesen beiden Wahrheitsrichtungen wird deutlich,dass das Wesen des Menschen sehr verschieden beleuchtet werden kann und eine„absolute Wahrheit“ aus nur einem Blickpunkt dadurch zu einer „lebendigenWahrheit“ aus verschiedenen Blickrichtungen wird.

Nähert man sich in dieser Art von Fragen sich selbst oderseinen Mitmenschen, entsteht im Zusammenklang ein noch nie in seiner Vielfaltentdecktes „höheres Wesen“.

Wird dieses „höhere Wesen“ zum Beispiel eines schwierigenSchülers entdeckt, hat dies offensichtliche Auswirkungen auf die Beziehung undauf den Lebensalltag mit dem Schüler, sodass gesagt werden kann: „Das schwierigeKind wird zur Freude.“

Den Weg, sich anhand solcher Blickrichtungen einem Menschenzu nähern, beschreibe ich auch mit der vertiefenden Frage: „In welcher Erscheinungsformzeigt sich der Christus, der im Innern eines jeden Menschen zu finden ist, in diesem Menschen?“

 

Die manichäische Haltung

 

In der urchristlichen Strömung des Manichäismus (begründetauf Mani , 216 –  276 n. Chr.), liegt dieGrundidee, dass das Böse an sich nicht böse ist, sondern, dass das Böse dasGute zur falschen Zeit, am falschen Ort und im falschen Maß ist. Somit sind Gutund Böse keine Polaritäten, sondern das Gute steht in der Mitte und das Böseist ein zu früh oder zu spät, beziehungsweise ein zu viel oder zu wenig desGuten.

Ein schönes Beispiel für diese Blick-Richtung ist dasVerständnis von Gesundheit und Krankheit, die in diesem Sinne ebenfalls keinePolaritäten sind. Gesundheit ist stets ein labiles Gleichgewicht und entstehterst in der Mitte zwischen Aufbau und Abbau, Kälte und Wärme und vielem mehr. Zuviel Wärme zeigt sich z. B. in Fieber und Entzündungsprozessen und zu wenigWärme äußert sich in Artrose oder sonstigen sklerotischen Erscheinungen, wobeidie Krankheit selber bereits Tendenzen des Ausgleichs in sich tragen kann undsomit von höherer Warte aus zur Heilung beiträgt.

Beim „Heilsamen Blick“ wird die manichäischeHaltung insofern angewendet, als dass auf die Beziehung zu einem anderenMenschen mit folgenden Fragen geblickt wird:  „Welche Gedanken, Emotionen, Gefühle undWillensimpulse löst dieser Mensch bei mir aus? Welchen Ausgleich und/oder wasfür Fähigkeiten fordert er bei mir heraus?“

Entstehen in einem längerenBewusstwerdungsprozess auf diese Fragen Antworten, die ihrerseits aus dem Bemerkender eigenen persönlichen Themen resultieren können, beginnt das Findender Mitte. Denn oft ist das, was der andere in mir hervorruft, dasjenige, wasmich aus biografischen, traumatischen und/oder karmischen Gründen aus meinergesunden Mitte herausgerissen hat.

Entdecke ich nun diese Mitte-Fähigkeit, die ich durch den anderenerkennen durfte, entsteht eine große Dankbarkeit diesem Mitmenschen gegenüberund auf diese Weise wird die Wertschätzung gegenüber jedem Menschen,  wie schwierig auch immer er mir begegnet,geschult und erweitert.

 

Zusammenklang

 

Jeder Mensch hat die Tendenz aus wenigen Weltanschauungenheraus zu denken, zu fühlen und zu handeln. Oft hat man genau mit den Menschendie größten Schwierigkeiten, die aus der polaren Wahrheitsperspektive herausauftreten. Nimmt man nun die manichäische Sichtweise dazu, liegt die Wahrheitoder die heilsame Begegnung in der Mitte zwischen den Positionen. Das Rätseldieser Mitte zu lösen und sie zu sehen, wird in den Seminaren zum „HeilsamenBlick“ tastend gewagt.

Dieser Erkenntnisprozess wird begleitet vonWahrnehmungsübungen, ungeteilter Andacht, meditativer Fußwaschung, Biographiearbeit,Traumawandlung und Schicksalslernen, da sich auf dem Weg des „HeilsamenBlickes“ große Lebensfragen und Krisen zeigen können.

 

Schritte

 

Da die Vielfalt der individuellen Themen sehr groß ist und derWandlungsprozess auch Übung im Alltag braucht, werden in dem Seminar kleineSchritte, die für den Einzelnen gangbar sind, getan und weitere Anregungen undÜbungen mit auf den Nachhauseweg gegeben. Es besteht auch die Möglichkeit, inVertiefungsseminaren und Einzelsitzungen die Erfahrungen und Erkenntnisseweiter zu bearbeiten.

Gelingt die Verwandlung des Blickes, befreit sich der Menschallmählich von einer unbewussten Vergangenheitsbestimmung und entwickelt  seine bewusste Zukunftsgestaltung. AlsFrüchte auf dem Weg reifen Freiheit und Liebe zu mir selbst und in jederBegegnung: Jeder Mensch wird zur Freude und zum Glück.  

Iris Moos